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So­zi­al­pä­da­go­gi­sche Be­ra­tung

Sozialpädagogische Beratung

Begriff und Abgrenzung

Ab Mitte der siebziger Jahre wird versucht, die Spezifika sozialpädagischer Beratung herauszuarbeiten: Abgrenzung von Beratung als theoretische und praktische Versimplifizierung von psychologischen Therapieformen.

Der Diskusion über sozialpädagogische Beratung geht es um die Erarbeitung eines Kanons an Maximen und Prämissen, die einen eigenen sozialpädagogischen Beratungsansatz kennzeichnen und charakterisieren können.

Definition Sickendiek/Engel/Nestmann (1999): Beratung ist eine Form der helfenden Interaktion zwischen zwei oder mereren Beteiligten, bei der BeraterInnen rasuchende Klientinnen dabei unterstützen, in bezug auf eine Frage oder ein Problem an Orientierung, Klarheit, Wissen, an Bearbeitungs- und Bewältigungskompetenzen zu gewinnen.

Die Interaktion richtet sich auf kognitive, emotionale und handelnde Problemlösung und -bewältigung von KlientenInnen oder Klientensystemen (Einzelpersonen, Familien, Gruppen, Organisationen) sowohl in lebenspraktischen Fragen wie auch in psychosozialen Konflikten und Kriesen und erstreckt sich auf präventive, kurative und rehabilitative Aufgaben.

Da Lebensschwierigkeiten von KlientInnen im Rahmen sozialer Arbeit häufig nicht ‚lösbar' oder'behebbar' sind oder wenn bereits sogenannte ‚diviante Bewältigungsformen' vorliegen, muss sich Beratung oft auf Hilfe dabei beschränken, Schwierigkeiten zu reduzieren und zu mildern oder mit den Folgen von Problemen besser umgehen und leben zu können.

Häufig erhoffen sich Ratsuchende von professionellen HelferInnen einfache Ratschläge oder Anleitungen, um schwierige Situationen besser meistern zu können. Sozialpädagogische Beratung zielt jedoch auf die Förderung und (Wieder-)Herstellung der Bewältigungskompetenzen der Klienten selbst und ihrer sozialen Umwelt, ohne ihnen die eigentliche Problemlösung abnehmen zu wollen.

Beratung ist integraler Bestandteil jeder Kommunikation, sie findet im Alltag von Individuen statt. Nur wenige suchen Hilfe bei professionellen psychosozialen Helfern, 80 Prozent und mehr ziehen informelle Hilfen und Unterstützungsquellen vor, d.h. Ehepartner, Familienmitglieder, Freunde, Nachbarn und Angehörige anderer Berufe. Totzdem sind im Zuge gesellschaftlicher Modernisierung und einem daraus resultierenden erhöhten Orientierungsbedarf die Angebote professioneller Beratung in den letzten Jahrzehnten expandiert.

Drei Merkmale von Beratung allgemein (Thiersch 1977):

- Ein Teilnehmer aus der Beratungsinteraktion soll aus dem jeweiligen Geschehen Nutzen ziehen, während der andere Teilnehmer als ‚Mittel der Veränderung' akzeptiert wird. In der Alltags-Beratung werden diese Rollen häufig gewechselt, während sie in der professionell beschriebenen Beratung meist fixiert sind.

- Die jeweiligen Problemlagen werden verbal repräsentiert und die Problemlösung als verbale Botschaften in den Interaktionsprozess eingebracht; einem Wechselspiel von gegenseitigem Sprechen, Hören und Verstehen.

- Probleme, die ein mittleres Maß nicht überschreiten, wo das zu beratende Individuum wenigstens noch so funktionsfähig ist, dass es die aus der Beratung resultierenden Lösungsansätze umsetzen kann.

Sozialpädagogische Beratung ist durch weitere Merkmale abzugrenzen:

- Festlegung des Kompetenzbereichs: Sozialpädagogische Beratung ist in ihrem Feldzug wesentlich unklarer konturiert als therapeutische Beratungen, die ihren Kompetenzbereich unter Berufung auf theoretische Schulen inhaltlich bestimmen können. Der Kompetentbwereich der sozialpädagogischen Beratungt ergibt sich aus regionalen Einheiten oder Problemgruppen.

- Allzuständigkeit der Sozialpädagogen: Das Themen und Aufgabenspektrum sozialpädagogischer Beratung ist prinzipiell unbegrenzt. Alles, was im Alltag zum Problem werden kann, kann auch zum Thema sozialpädagogischer Beratung werden: von finanziellen Problemen über Schwierigkeiten, Eheprobleme bis hin zu Fragen der Sinnsuche. Die Komplexität möglicher Themen hat Auswirkungen auf die praktizierten Handlungsansätze: "Typisch ist vielmehr ein elektrizistischer Umgang mit unterschiedlichsten Veränderungsmodellen. Psychoanalytische Ansätze, Alltagswissen, Informieren, gesprächstherapeutische Momente, schlichte Machtausübung. Die formale Zuständigkeit für alle im jeweiligen Feld manifest werdenden Kriesen und Konflikte zwingt den Sozialpädagogen, sich in seinem Beratungshandeln notfalls äußerst pragmatisch zu orientieren. Eine wissenschaftlich honorige ‚Reduktion von Komlexität', die reale Fakten zugunsten ‚sauberen, methodische Arbeitens' ausklammert, ist für den Sozialpädagogen kaum möglich.

- Vielfalt der Beratungsformen und Adressatengruppen: Die Allzuständigkeit der Sozialpädagogik bedingt, dass sozialpädagogische Beratung sich in einem Setting realisieren kann und sich nicht an eine Adressatengruppe wendet. Sie ist offen für unterschiedlichste Angebotsformen und vielfältige Adressatengruppen.

- Spezifische Handlungsintention: Sozialpädagogische Beratung ist Beratungshandeln in der Komplexität alltäglicher Problemlagen und Problemlösungsstrategien und weit stärker als andere Beratungsansätze eine Intervention, die auf die Belebung von Alltagstechniken der Konflikt- und Krisenbewältigung gerichtet ist und dabei notwendigerweise den gesellschaftlichen Kontext nicht ausklammert.

Für Thiersch ist der Begriff der sozialpädagogischen Beratung nicht auf solche Angebotsformen reduziert, die spezifische Beratungseinrichtungen (institutionelle Beratung)sind (Familien-, Ehe-, Schwangerschaftskonflikt-, Jugend-, Drogen-, Erziehungsberatung usw.), er bezieht sich auch auf funktionale Beratung, die im Alltagsgeschäft in unterschiedlichen Handlungssituationen anfallen: Thekendienst, Frühstücksrunde, Ausflug mit Gruppe.

Maximen und Merkmale

Sozialpädagogische Beratung ist wesentlich durch ihren Bezug auf den Alltag der Klienten gekennzeichnet, sie ist im Kern alltagsorientierte Beratung. Sozialpädagogische Beratung ist weitaus näher an der konkreten Lebensrealität, hält sich nicht selten in eben dieser auf, wird mit dem alltagsweltlichen Belastungen weitaus direkter konfrontiert als psychologische Beratung, die sich auf den dritten Ort innerhalb der Beratungstelle zurückzieht.

Hans Thiersch hat seit Mitte der siebziger Jahre ein spezifisches Verständnis von sozialpädagogischer Beratung herausgearbeitet. In diesem Verständnis befinden sich bereits eine Vielzahl der Elemente, die er später zur alltagsorientierten und später lebensweltorientierten Sozialen Arbeit weiterentwickelt hat.

Verständnis von Alltag (Thiersch 1977): Schnittpunkt gesellschaftlicher Strukturen und individueller Biographie, quasi als konkrete Verdichtung gesellschaftlich fundierter Erfahrungen im Fokus des vorfindbaren Lebensarrangements: "Die in Widersprüchen der modernen Gesellschaft angelegten Konflikte, Sinnverlust, Apathie, Insuffizien usw. zeigen sich unmittelbar im Alltag der Betroffenen, in der Komplexität der politischen, psychologischen, rechtlichen, sozialen Schwierigkeiten; diese Konflikte waren immer Gegenstand sozialpädagogischer Beratung.

Methoden und Vorgehensweise

Sozialpädagogische Beratung ist nicht - wie therapeutische Ansätze - von vorherein auf Reduktion angelegt, sondern beabsichtigt, der Komplexität von Alltag gerecht zu werden, die verlangt notwendig Offenheit als strukturbildendes Prinzip. "Nicht festgelegt auf ein gelerntes oder trainiertes therapeutisch-beraterisches Konzept ist die sozialpädagogische Beratung auch offen für themengerichtete Auswahl und Praktizierung von Beratungsmethoden oder Vorgehensweisen, die die klassichen Therapieformen und Beratungskonzepte aus Erziehung, Lernen alltäglicher Interaktion etc. übernommen und verabsolutiert haben. Methoden wie: aufmerksames aktives Zuhören, Problemannährung in bewältigbaren Schritten, Schutz vor Überlastung, Übung, Reflexion,von Vergangenem, Planung von Zukünftigem, Entspannung, Konfrontation mit Überlegungen zum Überdenken, Modellernen, Alternativen aufzeigen, Zusammenfassen, Anbieten von eigenen Interpretationen, unzensierte Ideensammlung Provozieren etc., die in Therapie vereinzelt und zur formal dominierenden und bestimmenden Technik geworden sind, werden in der alltäglichen Beratung dort integriert, wo eine Notwendigkeit dazu besteht, ohne dass sie sich verselbstständigen und Hauptbestimmungsfaktor werden.

Nestmann (1982): Ohne das Korsett einer formalistischen Beratungstechnik besteht hier zwar einerseits die Gefahr des wahllosen Pragmatismus und planlosen Elektrizismus, jedoch andererseits die Chance der Entwoicklung einer möglichst wenig reduzierten und nicht auf Einzelaspekte zugerichteten Vorgehensweise der Beratung aus der konkreten gemeinsamen Praxis mit Ausgangspunkt, Methode und Ziel.

Hans Thiersch (1977): Methodenwahl: die Relation von "wie" und "was" ist bedeutsam. Bei Methodenorientierung: häufige Frage der Überlagerung, was eigentlich das Problem ist, durch eine Fixierung auf sdas "wie" der Behandlung. Das "Was", die materielle Basis der Lebensschwierigkeiten und ihr Niederschlag im Bewußtsein und Erleben der ratsuchenden Personen darf dadurch nicht entwertet werden. Nicht die Methode bestimmt den Verlauf der Beratung, sondern das Problem, der Gegenstand, die Lebensumstände bestimmen die Vorgehensweise. Methode wäre dann zu verstehen als Bahtstelle zwischen Erkenntnis des Problems, Handlungskonsequenzen und Zieldefinitionen.

Sozialpädagogische Beratung nutzt Methoden und Verfahren aus unterschiedlichen Konzepten von Veränderung und Hilfe, sie stellt problem-, klienten- und zielspezifische Methoden zusammen, integriert sie und geht elektrizistisch vor. Elektrizistisch: Aussuchen aus verschiedenen Quellen, Systemen und Stilen, das was das Beste scheint oder bestehend aus dem, was aus unterschiedlichen Quellen, Systemen und Stilen ausgewählt ist. Der Begriff integrativ verdeutlicht hingegen, daß es sich hier nicht um ein wahlloses Zusammenstellen und Zusam,menwürfeln einzelner methodischer Elemente geht, sondern um den Versuch einer geplanten und kontrollierten Kombination und Integration verschiedener Verfahren.

Thiersch: Fünf Konsequenzen für die Gestaltung sozialpädagogischer Beratung: 1. Diagnose in der sozialpädagogischen Beratung ist immer "teilnehmende Diagnose" verstanden als gemeinsames Handeln, da sich die Einschätzung von Person, Problem und Bearbeitungsressourcen nur in konkreten Situationen gemeinsamen Handelns angemessen eruieren lassen. 2. Hilfe konkretisiert sich (auch) durch Umstrukturierung der Situation", also durch Erschließung materieller Ressourcen, Neudefinitionen sozialer Beziehungen, Schaffen neuer sozialer Räumlichkeiten (Freundschaften, Schulwechsel, Arbeitsplatzwechsel usw.) 3. Wenn Alltag auch durch Selbsttäuschung, Borniertheit usw. gekennzeichnet ist, so muß es Aufgabe sozialpädagogischer Beratung sein, durch Konfrontation usw. hinter die Fassade "öffentlicher" Problemartikulation zu schaun. 4. Da nicht davon ausgegangen werden kann, dass allein sprachlich vermittelte Erkenntnis zur (gewünschten) Veränderung führt, gehört auch Training zum Handlungsspektrum sozialpädagogischer Beratung. 5. Wenn Beratung sich auf Alltag bezieht, so muß sie auch alltägliche Kontexte (Gruppen, Gemeinschaften etc.) berücksichtigen und sich in ihnen realisieren.

Literatur:

Galuske: Methoden der Sozialen Arbeit - Eine Einführung.1998. (S. 167 - 174)

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